Peer Group
Der Einfluss von Bezugsgruppen (peer groups) bei der Kaufentscheidung
von Ulf Wegner, Kontakter bei KAHLSDORF + PARTNER
In der Werbung wird zu jedem Konzept eine Situationsanalyse und eine Zielgruppendefinition durchgeführt, damit man durch die Werbemaßnahme auch genau die gewünschte Zielgruppe anspricht, um gesteckte Marketingziele zu erreichen. Mancher hat schon von den sozio-demografischen und psychografischen Merkmalen gehört. Aber wie setzt sich eine Gruppe zusammen? Welchen Einfluss haben Gruppen bei Kaufentscheidungen? Und zu allererst, was ist eigentlich eine Gruppe?
Konsum- und Verhaltensforscher Prof. Dr. Peter Weinberg definiert eine Gruppe als eine Mehrzahl von Personen, die in wiederholten und nicht nur zufälligen wechselseitigen Beziehungen zueinander stehen. Dies bedeutet, dass die bloße Ansammlung von Menschen noch keine Gruppe darstellt, sondern lediglich ein soziales Aggregat. Eine Gruppe hat eine eigene Identität, das heißt die Gruppe wird von den Mitgliedern als eine soziale Einheit aufgefasst. Außerdem weisen Gruppen eine soziale Ordnung auf und Verhaltensnormen, die das Verhalten der Mitglieder bestimmen und standardisieren. Zudem werden die Gruppen durch ähnliche Werte und Ziele geformt, die vom einzelnen als für die Gruppe verbindlich erlebt werden.
Weinberg trennt Gruppen in Primärgruppen und Sekundärgruppen. Unter Primärgruppen versteht man kleine informelle Gruppen, in denen Mitglieder in persönliche (face-to-face) Interaktion treten und relativ häufig engen und emotional fundierten Kontakt sowie ein ausgeprägtes "Wir-Gefühl" besitzen. Wichtigste Primärgruppen sind die Familie, Freundeskreis, kleine Gemeinden, also die nähere soziale Umwelt. Bei Sekundärgruppen handelt es sich um große Gruppen, in denen die Mitglieder ein distanziertes und meist formal begründetes Verhältnis zueinander haben. Da die Gruppen nicht mehr überschaubar sind, kennen sich die Mitglieder im Allgemeinen höchstens flüchtig und haben nur unregelmäßigen Kontakt. Beispiele von Sekundär gruppen sind großstädtische Gemeinden oder politische und wirtschaftliche Verbände.
Neben der Unterteilung in Primär- und Sekundärgruppen findet eine Unterscheidung in Mitgliedschafts-, Fremd- und Bezugsgruppen statt. Gemäß Diplombetriebswirt Werner Pepels besteht die engere soziale Umwelt für den einzelnen aus Gruppen, denen er angehört (Mitgliedschafts- oder Eigengruppen). Eine Mitgliedschaft kann nur entweder faktisch bestehen, wenn die Person auch tatsächlich am Gruppenleben teilnimmt oder nur nominell, dann gehört die Person nur aufgrund des Mitgliedsausweises in der Kartei zur Gruppe. Pepels definiert Fremdgruppen als Gruppen, denen der einzelne nicht angehört und die meist außerhalb seiner unmittelbaren und engeren Umwelt liegen.
Bezugsgruppen werden von Prof. Dr. Peter Weinberg als Gruppen, mit denen eine Person sich in starkem Maße identifiziert, bezeichnet. Diese Gruppen setzen Normen, die das Verhalten lenken und sie liefern Informationen für wirkungsvolle Urteile in Situationen, in denen einem Individuum eigene Sachkenntnis fehlt oder ihm Vergleichsmaßstäbe nicht zugänglich sind. Die Bezugsgruppen können Mitgliedschafts und Fremdgruppen umfassen, denn sowohl die eigenen Gruppen als auch fremde Gruppen können zu Ansatzpunkten für die eigenen Auffassungen und für das eigene Verhalten dienen. Es ist jedoch darauf zu achten, dass der Wortbestandteil "-gruppe" nicht gleichbedeutend mit dem bisher benutzten Gruppenbegriff ist. Mit Gruppe kann im Zusammenhang mit Bezugsgruppe auch die Einzelperson als Bezugspunkt für die Erklärung individuellen Verhaltens dienen. Es werden somit alle realen und idealen Personen und sozialen Einheiten als mögliche Bezugsgruppen für das individuelle Verhalten herangezogen.
In seiner wissenschaftlichen Studie aus dem Jahre 2002 stellt Sozialpsychologe Hans W. Bierhoff heraus, dass der Bezugsgruppeneinfluss zusammen mit anderen sozialen Einflüssen einen Anpassungsdruck auf das Individuum ausübt, der wesentlich für konformes Verhalten verantwortlich ist. Der soziale Druck der dabei ausgelöst wird, ist von unterschiedlicher Stärke und reicht von negativen und positiven Sanktionen bis zur bloßen Empfehlung eines Verhaltens. Bezugsgruppen wird üblicherweise eine Doppelfunktion zugeschrieben. Man unterscheidet zwischen einer normativen Funktion, bei der die Gruppe Orientierungslinien oder Regeln für standesgemäßes Handeln liefert und der komparativen Funktion, bei denen die Bezugsgruppe Maßstäbe liefert, an denen das Individuum seine Wahrnehmungen, Einstellungen, Meinungen und Urteile messen kann.
Dabei ist davon auszugehen, dass Individuen sich lediglich mit solchen Gruppen vergleichen, mit denen sie sich in irgendeiner Weise identifizieren können, die also attraktiv und ähnlich sind. Ähnlichkeit kann sich auf äußere Merkmale,wie das Alter, das Einkommen oder die Berufszugehörigkeit oder auf zentrale Werte,Einstellungen und Interessen, wie z.B. gemeinsames Interesse an einer bestimmten Sportart oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Subkultur oder Minderheit beziehen.
Das Ausmaß des Gruppeneinflusses auf Kaufentscheidungen hängt von der Identifikation des Individuums mit der Gruppe zusammen. Der Einfluss der Gruppe ist laut Pepels um so stärker, je häufiger es zu Gruppeninteraktionen kommt, je größer die Zahl der durch die Gruppe befriedigten Bedürfnisse ist, je höher der Gemeinsamkeitsdraht der verfolgten Ziele ist, und je höher das Prestige der Gruppenzugehörigkeit.
In vielen Kaufsituationen stehen die Konsumenten also unter dem Einfluss von Bezugsgruppen. Im Hinblick auf den Einsatz der absatzpolitischen Instrumente ist deshalb zu prüfen, in welchen Märkten der Bezugsgruppeneinfluss so stark ist, dass er für das Marketing genutzt werden kann. Im Produktbereich sind dabei nicht bestimmte Produkte zu ermitteln, deren Kauf unter einem Bezugsgruppeneinfluss steht, sondern vielmehr entscheidend für den Bezugsgruppeneinfluss sind allgemeine Produkteigenschaften, die das Produkt sozial auffällig machen. Auffällig bedeutet dabei, dass das Produkt nicht nur von anderen gesehen, sondern auch beachtet wird. Produkte, die jeder besitzt und die nicht als besonders modisch gelten, werden von der Umwelt nicht beachtet und somit auch nicht zu den sozial auffälligen Produkten gezählt werden.
In diesem Zusammenhang ist zwischen Produkten und Marken zu unterscheiden. Auch wenn das Produkt selbst weit verbreitet und deshalb nicht auffällig ist, so kann doch die Markenwahl von der Umwelt beachtet werden und unter sozialem Einfluss stehen. Man kann Produkte in Luxusgüter/Alltagsgüter und in öffentlich konsumierte Güter und privat konsumierte Güter unterteilen. Sozial auffällig sind nur solche Produkte, die nicht von allen gekauft werden, wie zum Beispiel Luxusgüter. Des weiteren müssen sozial auffällige Produkte sichtbar sein, ihr Konsum muss von der Umwelt beachtet werden. Bierhoff führt aus, dass dies insbesondere für Produkte, die in der Öffentlichkeit und nicht in privater Verborgenheit konsumiert werden, gilt und die so einen Konformitätsdruck auslösen. Die soziale Auffälligkeit von Produkten steht auch in enger Beziehung zum Prestigewert und Demonstrationseffekt von Gütern.
Bei der Ausgestaltung der Konsumfassaden hält sich der Konsument stark an Bezugsgruppen. Die Anpassung an ihre Meinungen und Standards hilft ihm Produkte zu kaufen, die es ihm erlauben, sich in einer sozial akzeptierten Form in Szene zu setzen.Dies trifft in verstärktem Maße auch für Jugendliche zu, stellt Sozialpädagoge Werner Thole fest. Die Jugendlichen erhalten durch ihre Bezugsgruppe genaue Hinweise für "In-" und "Out-" Produkte. Sozial auffällige Güter spielen für die Selbstdarstellung eine entscheidende Rolle. Dies gilt vor allem für Produkte, die zum äußeren Erscheinungsbild des Konsumenten beitragen, wie Kleidung, Accessoires oder dekorative Kosmetik. Es geht heutzutage um augenfälligen Besitz, um Symbole für den sozialen Aufstieg und Demonstration der Zugehörigkeit von einer sozialen Schicht.
Um den Bezugsgruppeneinfluss für das Marketing zu nutzen, muss man auf die mehr oder weniger starken Wirkungen der Bezugsgruppen in verschiedenen Produktmärkten eingehen. Wenn man Produkte verstärkt einem Bezugsgruppeneinfluss aussetzen möchte, müssen absatzpolitische Maßnahmen ergriffen werden, die die soziale Auffälligkeit eines Produktes erhöhen. Dabei kommt zunächst die äußere Auffälligkeit aber auch die symbolische Auffälligkeit (Image) in Betracht. Um bei gegebener Auffälligkeit eines Produktes oder einer Marke den Einfluss der sozialen Umwelt auf die Produktbeurteilung der Konsumenten auszunutzen, sollten in der Werbung Hinweise auf dieMehrheit der Konsumenten und Hinweise auf qualifizierte Bezugsgruppen erwähnt werden. Durch Hinweise auf die Mehrheit kann die Werbung das Bedürfnis nach sozialem Vergleich und sozialer Anpassung befriedigen und dem Konsumenten die Sicherheit bei der Beurteilung der sachlichen Qualität eines Produktes geben. Hinweise auf qualifizierte Bezugsgruppen können entsprechend der Bezugsgruppendefinition auch Hinweise auf einzelne Personen enthalten. Bei denen kann es sich um Persönlichkeiten wie bekannte Filmstars oder um stereotype Bezugspersonen wie die "liebe Oma" handeln. Zu den qualifizierten Bezugsgruppen auf die sich die Werbung beziehen kann, sind auch solche zu rechnen, die nicht zur näheren sozialen Umwelt des Konsumenten zählen, sondern zur weiteren Umwelt gehören. Diese Gruppen können als sozial entfernte Bezugsgruppen ebenfalls die Produktbeurteilung von Konsumenten um so stärker beeinflussen, je attraktiver die Mitglieder dieser Gruppe und ihr Verhalten in den Augen der Konsumenten sind.
Abschließend noch ein Beispiel für eine typische Bezugsgruppe, mit der jeder in irgend einer Weise zu tun hat, die Familie. Eine Bezugsgruppe, in der der einzelne aufwächst und die sein Verhalten in wichtigen Bezügen bereits in frühkindlichen Sozialisationsprozessen formt. Hier werden auch die wichtigsten Grundeinstellungen zu den The menkomplexen Konsumieren, Sparen und Arbeiten gelegt. Allerdings kann es auch in der Familie zu Kontrapositionen der Kinder kommen, wenn die Eltern für das Kind eine vorwiegend negative Bezugsgruppe darstellen, von der man sich abheben möchte. Aber nicht nur bezüglich der Entwicklung der Kinder ist die Familie die Bezugsgruppe, sondern auch für die familiären Kaufentscheidungen allgemein. Familien sind multipersonale, soziale Systeme, in denen Familienmitglieder aufgrund vielfältiger Interaktionen den Ausgang von Kaufentscheidungen mitbestimmen. Ein allgemeiner Trend besteht darin, dass die Anzahl gemeisam getroffener Konsumentscheidungen im Laufe der Ehejahre zurückgeht. Allerdings sollte man nach längeren Ehejahren erwarten, dass auch Solo-Entscheidungen die mutmaßlichen Wünsche und Interessen des jeweils anderen mit berücksichtigen. Natürlich erweist sich der Gemeinsamkeitsteil als stark abhängig vom Produkt. Er ist bei der Anschaffung von aufwendigen, sozial sichtbaren und vorwiegend gemeinsam genutzten Gütern allgemein höher.
Mehr Lust auf know-how? Lust auf List im Marketing?
Clever gewählt +49 (0)40 - 5 22 30 88 oder clever gemailt an info@kahlsdorf.com